Rede von Esther Bejarano (21.06.2017)

Am 21. Juni fand in Hofgeismar eine Preisverleihung statt. Der Hildegard Hamm-Brücher Förderpreis für Demokratie Lernen und Erfahren“ 2017 zum Thema „Für Demokratie – Gegen Rechtsaußen!“ ging an meine liebe Freundin Esther Bejarano.

Vorstand und Geschäftsführung des Förderprogramms erklärten zur Preisvergabe:


„Esther Bejarano tritt aktiv und engagiert gegen Rechtsradikalismus und Neonazismus ein. Ihr Engagement bekommt eine besondere Kraft durch die von ihr bezeugte Erfahrung des menschenvernichtenden Terrors des NS-Regimes, wobei sie dem Tod in Auschwitz als Mitglied des Lagerorchesters nur knapp entgehen konnte. Wir wollen mit diesem Preis die Lebensleistung, aber auch die bis heute aktuellen öffentlichen Aktivitäten von Esther Bejarano in Schulen und bei Jugendlichen – zusammen mit ihrer Rappgruppe „Microphone Mafia“ – herausheben und anerkennen. Wir wissen, dass wir in Frau Bejarano nicht nur eine Zeitzeugin und Generationsgenossin unserer jüngst verstorbenen Preisstifterin Hildegard Hamm-Brücher ehren, sondern einen Menschen, der diese Zeitzeugenschaft gegenüber Jugendlichen und SchülerInnen von heute nicht belehrend, sondern in Anerkennung von deren eigenen Ausdrucks- und Kulturformen vermittelt.
Frau Bejarano setzt trotz ihrer Auschwitz-Erfahrung nicht auf Anklage, sondern auf Lebensmut und Zuversicht, aber auch auf den Appell an die demokratische Verantwortung gegenwärtiger und zukünftiger Generationen für eine offene Gesellschaft ohne Diskriminierung und rechte Gewalt.“


Rede von Esther Bejarano zur Verleihung des Hildegard-Hamm-Brücher-Preises in Hofgeismar am 21. Juni 2017

(es gilt das gesprochene Wort)

 

Sehr geehrter Dr. Wolfgang Beutel,
liebe Christa Goetsch,
liebe Verena Hamm,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Förderprogramms für Jugend und Schule "Demokratisch denken"!

 

Ich bedanke mich sehr für Ihre Einladung zur Verleihung des Hildegard-Hamm-Brücher-Preises. Das ist für mich eine besondere Freude, weil ich schon immer eine Bewunderin von Hildegard Hamm-Brücher war und bin.


Bild: Barbara Naziri

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schülerinnen und Schüler,

die Ereignisse der letzten Zeit lassen mir keine Ruhe. Ich kann nicht anders: ich muss laut aufschreien. Es ist Zeit für einen Aufschrei von uns allen, einen unüberhörbaren, lauten Aufschrei, der bis in den letzten Winkel unseres Landes und der ganzen Welt widerhallt. Es ist unvorstellbar, dass wir 72 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Faschismus wieder so viele Opfer beklagen müssen. Opfer der Barbarei, der menschenverachtenden Ideologie durch Terror, Faschismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Ausländerhass.

Ich trauere um die Opfer in unserem Land, verursacht durch die NSU und Neonazis, meine Trauer gilt den Opfern der Anschläge von Paris, von Ankara, von Beirut, den Opfern des Anschlags auf das russische Flugzeug, den Opfern der Anschläge von Berlin, London und Manchester und neuer Terroranschläge vielerorts. Ich trauere um die Toten der Kriege im Nahen Osten. Ich trauere um die Menschen, die auf der gefährlichen Flucht vor den Kriegen in ihrer Heimat sterben, weil ein Teil Europas sich abschottet.

Nie wieder sollte die Menschheit durch Kriege bedroht werden.

Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als dass die Erfahrung meiner Generation in Vergessenheit gerät. Dann wären alle Opfer des Faschismus und des Krieges, alles, was wir erlitten haben, umsonst gewesen.

Ich bin entsetzt über die Asylrechtsverschärfungen, wodurch es möglich wird, Sinti und Roma, Afghanen und Afrikaner in die Länder abzuschieben, aus denen sie fliehen mussten, weil ihr Leben bedroht ist. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Ländern Europas und der ganzen Welt ein Vorbild gegen Rassismus jeglicher Art sein.

Aus der schlimmsten und menschenverachtenden Geschichte Deutschlands lernen, das muss unsere Devise sein.

Und es gibt noch ein Thema, das ich hier ansprechen möchte:

Verzeihen und vergeben!

Ich möchte Ihnen dafür das Buch "Die Sonnenblume" von Simon Wiesenthal empfehlen, in dem er geschildert hat, wie er als Häftling in Lemberg an das Krankenbett eines sterbenden SS-Mannes befohlen wurde, der vor seinem Tode von einem Juden eine Art von Absolution für seine begangenen Verbrechen suchte. Wiesenthal verließ nach dessen langer Beichte wortlos den Raum. Er hatte seiner Meinung nach nicht die Macht, ihm im Namen der Opfer zu verzeihen. Die menschenverachtenden Verbrechen der nationalsozialistischen Täter können wir, und da spreche ich für alle damals Verfolgten, niemals verzeihen oder vergeben.

Wir müssen alle wachsam sein und die Menschen, ganz besonders aber die Jugend, über die furchtbare Vergangenheit aufklären, damit

nie wieder geschehe, was damals geschah.

Denkt an die Worte von Bertolt Brecht:
"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch."

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde über den Holocaust geschwiegen. Nazis wurden, weil es keine wirkliche Entnazifizierung gab, wieder Richter, Rechtsanwälte, Lehrer, ja sogar von Adenauer in die Regierung geholt. Die größten Naziverbrecher, hier will ich nur Mengele nennen, Beteiligte des fabrikmäßigen Massenmordes, konnten mit umfassender Hilfe ins Ausland fliehen, damit sie nicht für ihre Verbrechen belangt werden konnten. Nahtlos setzte sich der Ungeist fort. In unserem Grundgesetz steht, dass alle Folgeorganisationen der NSDAP verboten, dass alle Embleme und Nazischriften verboten sind. Warum richtet sich die Regierung nicht danach? Heute haben wir die NPD, Pegida, AfD, alles Parteien und Organisationen, die gegen unsere Demokratie arbeiten. Gegen sie müssen wir kämpfen, um ein menschliches, friedliches Leben führen zu können.

Hildegard Hamm-Brücher nannte eines ihrer Bücher "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit".
Mit diesem Zitat beende ich meine Worte: "Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit!".

Danke.

 

 

 

 

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