Menschenrechte - Quo vadis?

Menschenrechte – Quo vadis?

 

Es ist in aller Munde, dass iranische Frauen und Mädchen ihre Kopftücher auf der Straße abnehmen, sich das Haar abschneiden und sich – trotz Morddrohungen – den Mullahs entgegenstellen. Jedoch alles am Kopftuch auszumachen, ist der falsche Weg, der viel zu tief ansetzt, was die Menschen im Iran für Qualen erleiden. Vielleicht sollte ich hier einmal darauf aufmerksam machen, dass das Abschneiden der Haare im Iran allergrößte Trauer ausdrückt. Besonders bei Beerdigungen schneiden sich Frauen nicht selten die Zöpfe ab, um ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Doch diesmal hat es eine neue Dimension erreicht. Es ist die Verzweiflung, einem Mörderregime ausgesetzt zu sein, in dem es als legitim gilt, Menschen abzuschlachten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die neue Dimension wurde jedoch erreicht, als die Milizen begannen, selbst die Kinder zu töten. Der Jüngste, der erschossen wurde, war gerade mal 11 Jahre alt. Nun ist selbst dieser Mord noch übertrumpft worden. Am 31.10.22 wurde die siebenjährige Shirin Diana Mahmoudi aus Piranshahr von Milizen erschossen

 

Endlich hat sich das Auge der Welt auf die Qual dieser Menschen gerichtet und eine große Solidarität unter den Völkern hervorgerufen. Selbst Politikerinnen greifen zur Schere, um ein Zeichen zu setzen. Doch die gesetzlich festgelegte Kleiderordnung im Iran ist „nur“ ein äußerer Zwang. Häufig bleibt dem westlichen Auge verborgen, mit welcher Gewalt und mit welchem Terror die Menschenrechte im Iran misshandelt werden. Jetzt, wo dort auch Kinder erschlagen und erschossen werden, beginnt die Welt augenscheinlich aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwachen.

 

Seit Wochen gehen die Menschen im Iran auf die Straßen: Alte, Junge, Menschen aller Gesellschaftsschichten: Hausfrauen, Student*nnen, ganze Schulklassen, Bauern, Lehrer, Journalisten, Ärzte, Arbeiter u.v.m. Sie haben ihren Slogan “Frau-Leben-Freiheit“ – “Zan – Zendegi – Azadi“ stets auf den Lippen. Inzwischen weiß man sogar in Deutschland, dass Azadi Freiheit bedeutet. Dafür werden Menschen totgeschlagen, festgenommen, erschossen, gefoltert oder vergewaltigt. Hinterher behauptet das Regime in der Öffentlichkeit, dass die Ermordeten Selbstmord begangen hätten. Als eine Mutter ihre Tochter im Gefängnis besuchte und sie fragte, was sie ihr nächstes Mal mitbringen sollte, antwortete diese: Anti-Babypillen und die Pille danach.

 

Und doch wehren sich die Menschen weiter auf ihre Art. Einige stupsen sogar im Vorbeigehen den Mullahs die Turbane von den Köpfen, zeigen dem Regime den Stinkefinger und beginnen auch, sich zu bewaffnen oder unter bloßem Einsatz ihres Körpers den Milizen die Festgenommenen abzujagen. Dieser Mut ist unbeschreiblich. Es ist der Mut der Verzweiflung, der Mut zu wissen, dass man nichts mehr zu verlieren hat. 

Regimegegnern gelang es kurzfristig durch einen Hackerangriff im Staatssender IRIB das Programm zu unterbrechen. Während einer Rede des obersten Religionsführers Ayatollah Khamenei in der Hauptnachrichtensendung sahen die Zuschauer plötzlich eine Abbildung des Geistlichen in Flammen, auf seinem Gesicht ein Fadenkreuz. Auf Persisch seien die Worte „Das Blut der Jugend klebt an euren Händen“ und „Steht auf und schließt euch uns an“ zu lesen gewesen. Darunter wurde ein Bild von der im September in Polizeigewahrsam gestorbenen Mahsa Amini sowie drei weiteren mutmaßlich bei den Protesten getöteten jungen Frauen gezeigt.

 

Und es zeigen sich die ersten Folgen. Das Regime beginnt, sich vor den Menschen zu fürchten. So hat es das Salär der Milizen um 20 % erhöht, denn auch dort bröckelt es. Einige machen nicht mehr mit. Das Regime hat schlichtweg Angst. Doch im Hintergrund lauert Putin, dem mittlerweile auch tausende Soldaten desertieren und der nun versucht, sich an den Mullahstaat heranzumachen. Iranische Drohnen sollen in der Ukraine eingesetzt werden und dort weiter Menschen töten. 

 

Jedoch die deutsche Politik und ihr Kanzler verhalten sich auffällig still. Es ist schändlich. Das bekommen auch wir im Widerstand zu spüren. Seit unser Ansprech- und Kooperationspartner, der Minister Rainer Keller (SPD), der im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zuständig war, am 22. September verstarb, haben wir Probleme, neue Ansprechpartner für die Situation im Iran zu finden. Es wird uns auf unsere Anschreiben entweder gar nicht geantwortet oder erst Wochen später, als wolle man in Berlin die Situation aussitzen. Zugleich wird man auf Mitarbeiter der Ausschüsse vertröstet, die eh nichts ausrichten können, statt, dass wir uns mit den Ministern, die ja schließlich unsere gewählten Volksvertreter sind, austauschen und die auch etwas bewirken können. Liegt es daran, dass sich unsere Regierung von Regime-zugewandten Iranern beraten lässt, die beste Beziehungen zu den Mullahs haben? Adnan Tabatabai bezeichnet sich selber als Berater unserer Außenministerin. Er konnte dank vieler Veröffentlichungen enttarnt werden. Seine Aufgabe besteht darin, dem islamischen Regime eine freundliche Maske überzustülpen. Er selbst kommt aus einer Familie, die mit dem islamischen Regime sehr eng verbunden ist. Sein Vater war ein enger Mitarbeiter Chomeinis. Tabatabai warnt in seiner Experten-Funktion immer wieder vor einer Einmischung “von außen" und wirbt für Verständnis für das Mullah-Regime. Dennoch werden er und seine Thesen gerade vom WDR unkommentiert verbreitet und zitiert, wenn es um die Frauen-Proteste im Iran geht. Kritiker sprechen gar von einer „Unterwanderung“. Das Auswärtige Amt hat zurückgewiesen, dass ein Mullah-Regime-naher Iran-Experte in Beratertätigkeit für Annalena Baerbock arbeitet. Finanziert werde sein Thinktank aber. Aha…

 

Es ist bedrückend, wenn wir uns vorstellen, dass Iran immer noch zu einem wichtigen Handelspartner für Deutschland zählt, dem man lieber in den Hintern kriecht, statt Tacheles zu reden. Zählt denn die Wirtschaft immer noch mehr als die Menschenrechte, die uns alle betreffen? Menschenrechte sind universell und wenn wir heute bei der Ukraine oder Iran abgewandt sind, dann trifft es morgen uns. Darüber sollten wir uns klar werden. Die Menschen im Iran kämpfen verzweifelt auch für UNSERE Werte, die uns zur Gewohnheit geworden sind, die aber in Gefahr sind, wenn wir aufhören, unsere Solidarität zu zeigen und der Politik mehr auf die Zehen zu treten.

زن - زندگی - آزادی

 

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B.N.

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