Nachruf für meine liebe Freundin Esther Bejarano

Nachruf für meine liebe ESTHER


Die ZEIT ist ein eisernes TOR




Wir werden nicht jünger, denn die Zeit zeichnet unerbittlich das Alter in unsere Gesichter. Gestern haben wir versäumt, was wir heute nicht tun und wieder mal auf morgen verschieben. Darum tut es heute und nicht erst morgen. 
Warum schreibe ich das ausgerechnet jetzt? Ich wollte meine Freundin Esther in letzter Zeit ein paarmal besuchen. Stets kam etwas dazwischen und zudem war ich noch nicht durchgeimpft. So verschob ich es immer wieder auf später. Dieses “Später“ hämmert in meinem Kopf, zerreißt mir das Herz. Esther war für mich unsterblich. Immerhin hatte ich ihr versprochen, an ihrem 100. Geburtstag auf dem Tisch zu tanzen, woran sie mich regelmäßig und liebevoll erinnerte. Natürlich telefonierten wir in letzter Zeit häufig miteinander, lachten und hatten uns stets viel zu erzählen. Aber es war nicht das gleiche, wie einander in die Augen zu schauen, uns zu berühren, zu küssen oder in die Arme zu nehmen. Die Wärme ist eine andere, wenn wir mit einem geliebten Menschen zusammen sitzen.
Genau am Tage meiner 2. Corona-Impfung stürzte Esther zu Hause sehr unglücklich. Zum Glück hatte sie sich nichts gebrochen. Sie robbte zum Telefon und konnte Hilfe rufen. So wurde sie vorsichtshalber ins Israelitische Krankenhaus eingewiesen. Immerhin war sie fast 97 Jahre alt und da muss Vorsorge getroffen werden. Sofort fanden sich liebe Freundinnen ein mit dem Gedanken, wie unser Freundeskreis sie unterstützen könnte. Es gab sogar einen Plan, wie wir uns um Esther kümmern würden, sobald sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen würde. Danke, liebe Doris dafür… Wir wollten abwechselnd die Tage bei ihr verbringen, für sie kochen und ihr Gesellschaft leisten. 
Aber ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide und von Entlassung aus der Klinik war nicht die Rede. Die inneren Organe arbeiteten nicht gut. Sie brauchte nun absolute Ruhe. Ich selbst schlief unruhig und mich plagten Albträume. Und trotzdem versuchte ich immer wieder, mich zu beruhigen mit dem Gedanken: Esther ist stark, die packt das schon. Aber ein Bauchgefühl blieb und das war nicht gut. Eigentlich wollte ich sie nicht auf dem Handy anrufen, aber der Druck in mir war stärker. Wie erschrocken war ich, als ich ihre einst so sichere Stimme hörte, die nun schwach und erschöpft klang. Ich musste jeden Satz zweimal wiederholen, weil sie mich nicht gut verstand. Dann hauchte sie: „Maryam komm zu mir!“ und ich versprach, sie am nächsten Tag zu besuchen. Doch dann ging es ihr schlechter und ich musste den Besuch auf später verschieben. 
Als ich gestern zu ihr kam, nahm sie mich kaum noch wahr. Meine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Joram und Edna, ihre Kinder, waren völlig aufgelöst. Still umarmten wir einander. Esther lag apathisch auf ihrem Lager. Leber und Nieren wollten nicht mehr arbeiten und die Ärzte hatten sie unter starke Schmerzmittel gesetzt. Mein Besuch bei ihr, war nun kein Krankenbesuch mehr, sondern ich stand an ihrem Sterbebett. Ich musste erst einmal raus und weinen. Meine Freundin Norma begleitete mich. Später saß ich mit ihr zusammen an Esthers Bett und wir hielten Esthers Hände. Dabei erzählte Joram, dass Esther in einem wachen Augenblick noch zusammen mit Edna gesungen hatte. Ich glaube, sie sangen: Mir lebn ejbig. Als ich ging, küsste ich Esther auf die Stirn und versprach ihr, dass ich – wie versprochen – für sie tanzen würde, in dieser oder der anderen Welt und dass ich sie, meine kleine Löwin, unendlich lieb habe. Joram und ich sahen uns an. „Ich kann nicht glauben, dass Esther geht“, raunte ich ihm zu.“ Er nickte traurig. „Da geht es mir wie Dir.“ 
Esther starb in dieser Nacht, wie sie gelebt hatte. Musik und Gerechtigkeit hatten sie stets beseelt. Sie hat uns verlassen, aber ein Teil von ihr bleibt uns erhalten: Ihr eiserner Wille, etwas zu bewirken und ihre Botschaft für Gerechtigkeit und gegen die Ewig-Gestrigen. Sie war mit Leib und Seele eine Kämpferin und mir persönlich “meine kleine Löwin“. In meinem Herzen wird sie weiterleben.
Schmerzlich ist mir klar geworden: Wir müssen jeden Moment unseres Lebens auskosten. Genießt die Zeit, die uns bleibt! Hört nicht auf, sie zu nutzen, wie es EUCH gefällt. Bringt Farbe in unseren grauen Alltag! Vergesst euer Lächeln nicht und schenkt es auch euren Mitmenschen, denn es ist der Zauber, der alle Herzen öffnet. Genießt diese kostbare Zeit mit Gelassenheit und Zuversicht. Versucht, das Wort "später" zu löschen, denn "später" ist eine Ausrede und manchmal sogar Selbstbetrug.
Ein lieber Freund schickte mir kürzlich eine WhatsApp-Nachricht, die sich mit dem Thema „Später“ beschäftigte. Den Text habe ich verinnerlicht und meiner Denkweise angepasst und spinne so meine Gedanken weiter. 
Unsere gelebte Zeit erleben wir unterschiedlich. Doch höre ich immer wieder den Satz: „Die Zeit verrinnt so schnell! Kaum hat der Tag begonnen, naht schon der Abend. Stunden verfliegen, Tage verrinnen ... Kaum beginnt die Woche, ist es schon wieder Freitag. Monate ziehen vorbei ... das Jahr nähert sich dem Ende ... und im Nu sind zig Jahre unseres Lebens vergangen.
Plötzlich wird uns bewusst, wie viele liebe Menschen wir schon verloren haben. Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte. Die Zeit lässt nicht mit sich verhandeln. Keine Uhr der ganzen Welt dreht sich zurück! 
Warum verschieben wir dann trotzdem alles auf später?
Wer hat nicht schon mal gesagt: 
Ich kümmere mich später darum...
Ich sage es später... 
Ich denke später darüber nach...
Später ist es vielleicht zu spät.
Später sollte aus unserem Wortschatz gestrichen werden, es klingt wie abgestandener Kaffee. 
Später werden Versprechen vergessen und Prioritäten geändert. 
Später ist der Lack ab und die Gesundheit schleicht sich davon.
Später wird der Tag zur Nacht und ein Kuss wird nie mehr gegeben.
Später könnten wir die besten Momente unseres Lebens verlieren.
Später bedeutet häufig zu spät! 
Und ich? Ich muss mit meinem Später fertig werden…
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Wenn ein Stern auf Erden erlischt, 
erleuchtet er uns das Firmament.
© Aramesh, 10.7.2021 
(die ihre liebe Esther immer im Herzen trägt)

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