Die erste Menschenrechtscharta der Weltgeschichte

Die erste Menschenrechtscharta der Weltgeschichte

Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der UN beschlossen und damit gilt dieser Tag als Gedenktag. Allerdings war die Idee der Menschenrechte damals kein Novum. Bereits im Mittelalter hat es die ersten Ansätze in Europa gegeben. Ein bekannter Vorläufer der dieser Charta ist die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung aus dem Jahr 1789.

Wenig bekannt ist jedoch, dass bereits vor mehr als 2500 Jahren der altpersische König Kyros in Babylon, dem heutigen Irak, eine Menschenrechtscharta verkündet hat. Seine Erklärung war für die damalige Zeit spektakulär. Denn sie übertrifft weit die Menschenrechte, die wir in Ansätzen bei den alten Griechen oder im mittelalterlichen Europa finden. Herausragend fällt die Ächtung der Sklaverei auf, die vielerorts bis in das 19. Jahrhundert praktiziert wurde. Zum Beispiel hat das englische Parlament erst im Jahr 1807 die Sklaverei abgeschafft.

Die Charta des Kyros ist heute von besonderer Aktualität, weil gerade in der Region des Nahen Ostens die von Kriegen und Unterdrückung geplagten Völker die Menschenrechte missen. Die Region ist ein Spielball auch westlicher Staaten geworden. Das Schicksal dieser Völker zeigt schmerzlich, dass eine Erklärung allein Menschenrechte nicht garantieren kann. Es bleibt Aufgabe jeder Generation, sie zu bewahren, zu pflegen, im Gefühl der Menschen zu verankern und sie über die Rechtsordnung zu sichern.

König Kyros (altpersisch Koroush) hat vor 2500 Jahren ein gewaltiges Reich errichtet, man sagt, das erste Weltreich der Geschichte. Griechische Historiker bezeichneten es als Persien, das damals aus 20 Provinzen bestand und sich von Karthago (Tunesien), Ägypten, Äthiopien, dem gesamten Vorderen Orient mit Israel, Babylon (Irak), etliche Länder im Kaukasus und in Zentralasien bis nach Afghanistan und Indien erstreckte. Auffallend war jedoch nicht die Größe. Riesige Reiche hat es immer wieder gegeben. Es war auch nicht die militärische Stärke. Es war die freiheitliche Staatsphilosophie und eine Ethik, die den Vielvölkerstaat zusammenhielt. Alle Provinzen unterstanden zwar einer zentralen Herrschaft, waren aber selbständig genug, so dass sie keinerlei Grund sahen, sich vom Reich zu lösen. Die einzelnen Länder waren mit einem Straßennetz von vielen tausend Kilometern verbunden. Ordnung und Friede, eine gemeinsame Währung mit einheitlichen Maßeinheiten erleichterten den wirtschaftlichen Austausch und förderten den Wohlstand – eine Spitzenleistung der politischen Organisation für die damalige Zeit.

Im Jahre 530 v.Chr. hatte Kyros seinem Reich eine Verfassung gegeben, die in einen Backstein-Zylinder gemeißelt der Nachwelt erhalten ist. Sie ist eine der frühesten Quellen des Völkerrechts und gilt als die älteste Menschenrechtcharta der Geschichte. Dieser Ziegel befindet sich heute im British Museum in London. 1971 wurde sie von der UNO als «1. Charta der Menschenrechte» gewürdigt und in alle Sprachen übersetzt.

Wurde diese Erklärung auch umgesetzt? Wir finden Hinweise im Alten Testament der Bibel. Kyros befreite die Juden 530 vor Christus aus der babylonischen Gefangenschaft. Er gab ihnen ihr geraubtes Eigentum zurück und half ihnen, ihr zerstörtes Land und ihren Tempel wieder aufzubauen. Mehrere Stellen im Alten Testament würdigen das segensreiche Wirken von Kyros für Israel. Vielleicht würde es Israel ohne Kyros heute gar nicht geben. Mehr noch: Bibelkundige finden manche auffallende Ähnlichkeit und Übereinstimmung zwischen der alten iranischen, zoroastrischen Religion und dem Judentum. Auch im Christentum finden wir manche Einflüsse. Das Weihnachtsfest zum Beispiel hat eine Parallele im Mithras-Kult Irans.

Was sagt uns die Erklärung des Kyros heute? Wir müssen das friedliche Zusammenleben nicht neu erfinden. Das Dokument aus dem Altertum ist ähnlich wie heute die Menschenrechtserklärung der UNO eine Grundlage für ein friedliches und vielfältiges Neben- und Miteinander der verschiedenen Kulturen und Glaubensgemeinschaften. Die Natur des Menschen hat sich seit damals nicht verändert.

Was nach Kyros geschah

In Europa sind erstaunlicherweise die späteren kriegerischen Könige Daryoush und Hesharyashah (Xerxes) besser bekannt als Kurosh. Sie haben im 5. Jahrhundert vor Christus Griechenland militärisch bedroht. Ihre Niederlagen bei Marathon und Salamis haben die Vormacht Irans gebrochen. 323 besiegte und eroberte Alexander der Große Iran. Er zerstörte die Hauptstadt Persepolis und gab sie zur Plünderung frei. Die Griechen haben sich in den Stammlanden Irans jedoch nicht festsetzen können. Neue iranische Dynastien wie die Sassaniden haben das Land wieder aufgebaut und das Gedankengut des Reichsgründers Kyros hochgehalten.

623 haben die Araber Iran und danach auch viele andere Länder der frühmittelalterlichen Welt erobert und dauerhaft besetzt. In Europa zum Beispiel haben sie große Teile der iberischen Halbinsel besetzt. Zu einer Reconquista (Rückeroberung) wie in Spanien ist es in Iran nicht gekommen. Der Islam war eine fremde Kultur und konnte nicht ohne Gewalt eingeführt werden. Die Araber haben jedoch vieles aus der iranischen Hochkultur übernommen – zum Beispiel die ganze politische Organisation, die medizinischen Kenntnisse und die Baukultur. Wir finden die iranische Baukunst in vielen Ländern wieder – so in der Alhambra in Granada in Südspanien. Ein iranischer Baumeister hat den Tadsch Mahal in Indien gebaut. Wir finden die iranische Philosophie und Denkart in den arabischen Universitäten, die wiederum die europäische Kultur befruchtet haben.

Die neuere Geschichte Irans ist mit viel Gewalt durchsetzt worden. Tartaren, Mongolen, Osmanen und Afghanen haben das Land besetzt und immer wieder zerstört. So wurde im Verlauf der Jahrhunderte die traditionelle iranische Kultur und Denkart zurückgedrängt und die nationale Identität gebrochen. Ist Iran heute ein islamisches Land? Die Iraner haben die islamische Kultur nie ganz übernommen. Der Islam hat die ältere Kultur lediglich überdeckt. So hat der Iraner heute zwei Seelen in seiner Brust. Einerseits lebt er als Moslem. Andererseits trägt er als Iraner die Tradition der eigenen Geschichte in sich und pflegt weiterhin die zoroastrischen Feste wie Norouz und Yalda. Dies gilt als kulturelles Erbe als Grundlage für ein friedliches Zusammenleben

(In Anlehnung an die Texte von Dr. W. Wüthrich)

Text der Menschrechtscharta von Kourosh des Großen in die heutige Sprache übersetzt

„Nun dass ich mit dem Segen von Ahura Masda (Gott) die Königskrone von Iran, Babylon und den Ländern aus allen vier Himmelsrichtungen aufgesetzt habe, verkünde ich, dass solange ich am Leben bin, und Masda mir die Macht gewährt, ich die Religion, Bräuche und Kultur der Länder, von denen ich der König bin, ehre und achte und nicht zulasse, dass meine Staatsführer und Menschen unter meiner Macht die Religion, Bräuche und Kultur meines Königreiches oder anderer Staaten verachten oder beleidigen.
Ich setze heute die Krone auf und schwöre bei Masda, dass ich niemals meine Führung einem Land aufzwingen werde. Jedes Land ist frei zu entscheiden, ob es meine Führung möchte oder nicht, und wenn nicht, versichere ich, dass ich niemals dies mit Krieg aufzwingen werde.
Solange ich der König von Iran, Babylon und den Ländern aus allen vier Himmelsrichtungen bin, werde ich nicht zulassen, dass jemand einem anderen unrecht tut, und wenn jemandem Unrecht geschieht, dann werde ich ihm sein Recht zurückgeben und den Ungerechten bestrafen.
Solange ich der König bin, werde ich nicht zulassen, dass sich jemand ohne einen Gegenwert oder ohne Zufriedenheit oder Zustimmung des Besitzers sich sein Eigentum aneignet. Solange ich am Leben bin, werde ich nicht zulassen, dass jemand einen Menschen zu einer Arbeit zwingt oder die Arbeit nicht gerecht vergütet.
Ich verkünde heute, dass jeder Mensch frei ist, jede Religion auszuüben, die er möchte, und dort zu leben, wo er möchte, unter der Bedingung, dass er das Besitztum anderer nicht verletzt. Jeder hat das Recht, den Beruf auszuüben, den er möchte, und sein Geld so auszugeben, wie er möchte, unter der Bedingung, dass er dabei kein Unrecht begeht.
Ich verkünde, dass jeder Mensch verantwortlich für seine eigene Taten ist, und niemals seine Verwandten für seine Vergehen büßen müssen und niemand aus einer Sippe für das Vergehen eines Verwandten bestraft werden darf. Bis zu dem Tage, an dem ich mit dem Segen von Mazda herrsche, werde ich nicht zulassen, dass Männer und Frauen als Sklaven gehandelt werden, und ich verpflichte meine Staatsführer, den Handel von Männern und Frauen als Sklaven mit aller Macht zu verhindern. Sklaverei muss auf der ganzen Welt abgeschafft werden! Ich verlange von Mazda, dass er mir bei meinem Vorhaben und Aufgaben gegenüber den Völkern von Iran, Babylon und den Ländern aus vier Himmelsrichtungen zum Erfolg verhilft.“

Bild: Kaaveh Ahanga

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