Die Waffe des Schwarzen Todes - Teil 3

Teil 3

© Barbara Naziri

 

Es begann mit einem harmlosen Raufhandel in der Nachbarenklave Tana. Tataren und Genueser waren über einen Sklavenhandel in Streit geraten. Ein Wort gab das andere. Plötzlich griffen die Genueser zu ihren Schwertern und erschlugen die Tataren. Dann flüchteten sie nach Caffa, um sich dort zu verbergen. Als der Mongolenkhan Dschanibeg davon erfuhr, war er darüber sehr ergrimmt und verfolgte die Totschläger mit seiner Horde. An den Toren Caffas gewährte man ihm keinen Einlass. So schlug er davor sein Lager auf und forderte die Herausgabe der Schuldigen oder ein entsprechendes Blutgeld. Doch die Stadt wies ihn mit stolzen Worten zurück.
Leonardo beschlich darob ein ungutes Gefühl. Er wurde einsilbig und in sich gekehrt. Nalme betrachtete ihren Gemahl, der grübelnd am Hoftor lehnte.
Sanft berührte sie seinen Arm: „Du schaust so bedrückt, Leonardo. Sag, was sorgt dich, dass deine Stirn sich so umwölkt?“
„Es ist der Raufhandel von Tana, der mir keine Ruhe lässt. Seit die Händler sich unter unseren Schutz begeben haben, ist die Stadt gespalten.“
„Ja“, entgegnete sie nachdenklich. „In der Stadt spricht man in jedem Winkel darüber. Unmut herrscht zwischen Christen und Muslimen. Es gärt, wo man hinschaut. Der Tat widerfuhr keine Gerechtigkeit.“
„Hier leben angesehene Kaufleute, und bisher sah niemand auf Religion oder Herkunft, sondern auf Ehrlichkeit und Vertrauen. Diese Kaufleute aber haben keine Ehre“, erwiderte Leonardo hitzig. „Ein Ehrenmann bezahlt seine Schuld. Nun leidet die ganze Stadt unter Zank und Hader.“

Aber die Täter dachten nicht daran, ihre Schuld einzugestehen. Sie wähnten sich hinter den Mauern von Caffa in Sicherheit. Höhnisch verlachten sie den Tatarenherrscher und seine Mannen. Das erboste Dschanibeg sehr und er begann, Caffa viele Monde zu belagern. Als das allein nichts nützte, setzte er zu kämpferischen Angriffen an. Dschaniberg überfiel nun Karawanen, die seinen Weg kreuzten. Doch es gab viele Wege, in die Stadt zu gelangen und alle vermochte er nicht zu bewachen. Auch die Stadt widerstand mühelos. Ihre Stärke lag darin, dass sie vom Meer aus weiter versorgt wurde, denn die reichen Handelsleute kontrollierten große Küstenabschnitte der Krim. Dagegen zeigten die Tataren Beharrlichkeit, die Zeit bedeutete ihnen nichts. Aus Monden der Umlagerung wurden Jahre. Die Bürger in Caffa wurden mürbe. Sie hielten Rat und beschlossen, die Tataren ein für allemal zu vertreiben, indem sie eine Abordnung nach Genua schickten und dringend um Beistand baten. Genua handelte. Bald darauf trafen Kriegsgaleeren mit einem Heer ein. Nachdem die Soldaten einmarschiert waren, fielen sie über die Tataren her und verübten ein furchtbares Gemetzel. Das Blut floss in Strömen. Unzählige Tataren ließen ihr Leben und all ihre Kriegsgeräte wurden vernichtet. Ein Wehklagen erhob sich rund um die Stadt. Dschanibeg bebte vor Zorn. Drohend hob der Tatarenfürst die Faust gen Caffa, bevor er das Schlachtfeld verließ, und schwor der Stadt blutige Rache.

Der Sieg über die Mongolen löste in Caffa einen Freudentaumel aus, dem ein heiterer Jahrmarkt folgte. An den Straßen flatterten bunte Bänder im Wind. Der Duft köstlicher Speisen zog appetitlich durch die Gassen. Manch junge Maid steckte sich eine Blume ins Haar und warf den Jünglingen kecke Blicke zu. Auf den Plätzen spielten die Musiker unermüdlich zum Tanze auf. Einen alten Draufgänger juckte es in den Füßen und er hüpfte fröhlich zu den Weisen, wobei er zur allgemeinen Belustigung sein altes Weiblein im Kreise herumschwenkte. Die Gaukler zeigten dem staunenden Volk allerlei Kunststücke und die Narren hüpften schelmisch dazwischen und brachten die Zuschauer zum Lachen.

In der Nacht darauf hatte Leonardo einen seltsamen Traum, der ihn auch im Wachen nicht aus dem Sinn ging. Ihm träumte, er ging in den Basar. Doch seltsamerweise fehlte es dort an der sonstigen Lebendigkeit. Die Händler hatten sich alle in schwarze Mäntel geschlagen und die Kapuzen über den Kopf gezogen, sodass ihre Gesichter nicht sichtbar waren. Es herrschte Totenstille. Als Leonardo einen Händler ansprach, reagierte dieser nicht. Folglich griff er nach der Kapuze um dessen Gesicht zu schauen und blickte in die leeren Augenhöhlen eines Totenschädels. Entsetzt wich er zurück und eilte zum nächsten Händler, wo er desselben Anblickes gewahr wurde. Unter allen Kapuzen verbargen sich bleiche Schädel. Jäh packte ihn ein Grauen. Mit ängstlichem Herzen eilte er heim. Kein Kinderlachen, kein emsiges Treiben. Auch hier empfing ihn tödliche Stille. Er trat in die Stube und gewahrte Nalme und seine Kinder in schwarze Mäntel gekleidet, stumm am Tisch sitzend. Bevor er die Kapuzen von den Köpfen ziehen konnte, wachte er schweißgebadet auf. Es war Nalme, die ihn sanft rüttelte. „Was ist dir, Liebster? Du hast so laut geschrien, als hätte dich ein böser Dämon in seiner Gewalt.“ Verwirrt blickte Leonardo sie an.
„Mich hielt ein Alptraum gefangen, Nalme. „Mir träumte, ich ging durch die Stadt und begegnete dem Tod überall, wohin ich mich auch wandte.“
„Du machst dir in letzter Zeit zu viele Sorgen. Es war sicher der rote Wein, der dir aufs Gemüt schlug. Die Nacht ist noch lang. Ruhe nun, mein Liebster. Am Morgen ist man klüger als am Abend.“
Leonardo blickte sie ernst an: „Nalme, ich ahne Ungutes. Mir ist, als wolle mich der Traum warnen.“
Nalme strich ihm zart mit der Hand über die Wange. „Lieber Gemahl, wir sind hier sicher. Selbst wenn Dschanibeg eines Tages zurückkehrt, kann er uns nichts anhaben. Die Anzahl der Krieger wurde verdoppelt, um die Stadt zu schützen.“
„Was hilft’s? Die Mongolen werden keine Ruhe geben. Lass uns erwägen, die Stadt zu verlassen.“
„Aber wo sollen wir denn hingehen?“, fragte Nalme überrascht.
„Nach Genua“, antwortete Leonardo. „dort wähne ich uns sicher. Ich warte noch auf die Karawane aus Meschhad, die mir den kostbaren Safran bringt. Danach werden wir unsere Lage neu beraten.“

Leonardos Pläne wurden durchkreuzt. Denn Dschanibeg zog erneut gegen Caffa und ihm zur Seite ein großes Heer. Er hatte für diesen Feldzug alle Stammesfürsten unter sich vereint. Der nackte Hass trieb ihn voran. Diesmal war er fest entschlossen, die schmachvolle Niederlage des vergangenen Jahres zu begleichen. Nach wie vor schien die Stadt uneinnehmbar. Dschanibeg beschloss, sie diesmal vom Land her abzusondern, denn es mangelte ihm nicht an Kriegern wie bei der letztjährigen Belagerung. Jetzt wollte er die Stadt in die Knie zwingen und überwachte alle Karawanenwege. Er stellte Späher ab, die ihm jeden Händler meldeten, der sich Caffa näherte. In den unwegsamen, steinigen Tälern der Umgebung boten sich seinen Kriegern viele Unterschlupfmöglichkeiten, von wo aus sie den ahnungslosen Reisenden auflauern konnten. Die schwer beladenen Karawanen kamen nur langsam voran und wurden schnell von den flinken Pferden der Mongolen eingeholt. Meist griff sich ihr jeweiliger Anführer das Leittier, indem er ihm eine geknotete Schlinge um den Hals warf, denn die Tataren verstanden es meisterhaft, Tiere mit der Schlinge einzufangen. Danach sprangen die Reiter ab und hielten ihre Säbel kampfbereit. Aufgrund ihrer Übermacht stießen sie selten auf ernsthafte Gegenwehr und machten reiche Beute, denn die Handelskarawanen wurden nur von den Kaufleuten selbst und wenigen Söldnern bewacht, um schneller ans Ziel zu gelangen. Widersetzte sich doch einmal ein Kaufmann hartnäckig, fand er den Tod. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich auf den Handelswegen Angst und Schrecken. Hinter den gewaltigen Mauern der Stadt beunruhigten sich die Kaufleute, die vergeblich auf ihre Ware harrten und deren Vermögen ob der Überfälle dahinschmolz. Manch einer meinte unheilvoll, die Stadt käme diesmal nicht ohne Schaden davon. Allgemein war die Lage gedrückt.

Leonardo war verzweifelt, wenn er an die räuberischen Tataren dachte. Er hatte seinem Verwalter ein Vermögen an Goldmünzen mitgegeben, um Safran aus dem fernen Persien zu holen. Tagtäglich stand er auf der Stadtmauer, um nach der Karawane Ausschau zu halten. An einem sonnigen Herbsttag sah er sie endlich aus weiter Ferne nahen. Doch welches Unheil mit ihr einherging, ahnte er nicht, sonst hätte er die Seinen gepackt und schleunigst die Flucht ergriffen. Denn an ihrer Seite schlich ein dunkles Gespenst über die endlose Seidenstraße und brachte jedem Verderben, der mit ihm in Berührung kam. Manch Händler, der sich der Karawane eine Zeitlang anschloss, trug ein Fieber in sich, das nicht weichen wollte. Trotz der Hitze schüttelte es den Körper erbärmlich. Bald darauf bildeten sich dicke Geschwüre, die, wenn sie aufbrachen, einen beißenden Geruch verströmten. Öffneten sie sich nicht, starb der Kranke jämmerlich. Heimlich hatten sich die Reisenden einiger Toten entledigt und sie der weiten Steppe übergeben. Auch der Verwalter Leonardos war darunter, nachdem er unter Qualen gestorben war. Nun bewegte sich die Karawane mit den geschwächten Menschen nur schleppend voran. Als sie nicht mehr weit von den Toren Caffas entfernt war, stürzten die Tataren aus dem Hinterhalt hervor und stießen auf keine Gegenwehr. Der wahre Grund offenbarte sich schnell. Als ein Tatar während des Überfalls einen Takhterawan* öffnete, in dem ein siecher Mann lag, prallte er vor der üblen Ausdünstung zurück, die diesem entströmte. Erfüllt von böser Ahnung hob er mit der Schwertspitze das Hemd des Leidenden. Er durchtrennte es mit einem Schnitt der scharfen Klinge und wich fluchend zurück. Der Körper des Mannes war mit eitrigen Beulen und Flecken übersät. Einige Krieger, die neugierig herbeigeeilt waren, fuhren ebenso entsetzt zurück.
Die Karawane hatte die Pest mitgebracht.

*Takhterawan =  zeltartiger Aufsatz für Kamele, wörtlich übers. 'mobiles Lager' (persisch)
 

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