Die Türen der Angst

 

Prolog:
Die Türen der Angst (2011)

Der Himmel über Hamburg hat sein Lächeln verloren und nun rinnen seine Tränen an den Fensterscheiben. Hartnäckig treibt der Herbstwind die letzten Blätter in ihre Pfützengräber. Das Grau der Dämmerung kriecht durch den Raum und lässt die Kerzen heller flackern. Ich liege auf der Couch und überlasse mich meinen Träumen. Wie die Erinnerung an einen klaren Sommertag dringt der Wohlgeruch erwärmten Bergamottöls in meine Sinne und vermischt sich bedenkenlos mit dem schokoladigen Aroma von frischgebackenem Marmorkuchen. Ich mag Marmorkuchen mit reichlich Schokolade, wie viele schöne Dinge, die mir Deutschland geschenkt hat. Vor allem die Freiheit und die Würde, die guten Freunde, deren Türen immer offen stehen.
In meiner zweiten Heimat Iran schließen sich Türen hinter Gitterstäben und das Grauen schleicht durch die Zellen der Angst. Türen werden mit schweren Stiefeln eingetreten, Türen, hinter denen sich Freiheitsträume verbergen. Die Menschenwürde im Iran gleicht einem aufgespießten Schmetterling und die Menschenrechte werden dort mit Peitschenhieben und faustgroßen Steinen erschlagen. Doch nichts vermag die Aufrechten in die Knie zu zwingen, auch wenn man ihnen die Lippen zunäht, denn um ihre Herzen tragen sie grüne Bänder. Und selbst der Himmel über Iran wird zum grünen Symbol der Hoffnung, ein grüner Himmel über schwarzen Tulpen. Ach, könnte ich die Freiheit nur einfach in den Koffer packen, um sie dorthin zu bringen!
In meine trüben Gedanken mischt sich eine orientalische Melodie, erst sanft, dann immer dringender. Der Rufton unseres Telefons. Auf dem Display leuchtet eine bekannte Nummer. Der Anruf kommt aus Teheran. Tief durchatmend greife ich zum Hörer. Gleich werde ich lügen. Ich höre die vertraute Stimme: „Bary, endlich! Wir haben ein paar Mal versucht, euch zu erreichen. Wo ward ihr denn so lange?“
„In Südfrankreich“, sage ich mit steifem Lächeln, obwohl Sima mich nicht sehen kann. Wie gerne würde ich sie jetzt umarmen, ihr sagen, wo ich wirklich war. Ich möchte ihr versprechen, dass wir uns zum Norusfest wiedersehen. Doch habe ich überhaupt noch eine Wahl?
Solange ich schwieg, blieb die Tür geöffnet, gerade einen Spalt breit. Breit genug hindurchzuschlüpfen. Doch ich kann nicht mehr schweigen. Meine Hände pflücken die Worte von meinen Lippen und bannen sie auf das Papier. Dort brennen sie – ungelöscht wie die Sehnsucht, die sich in mein Herz frisst. Die Tür beginnt sich zu schließen. Nur noch ein winziger Spalt steht offen und es braucht nur ein Wort, um sie mit einem dumpfen Knall ins Schloss fallen zu lassen.

 

„Nun spann aber nicht das Pferd hinter die Droschke!“, würde mich mein Vater wohl jetzt sanft ermahnen. Darum will ich von vorn beginnen.

 

 

 

 

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