Herbstgeflüster zu Deutschland schafft sich ab

Herbstgeflüster
© Barbara Naziri

Da ist es wieder, dieses unangenehme Bauchgefühl. Es wandert in mir, dringt in mein Herz und mein Hirn. Von Unruhe gepackt, springe ich auf und laufe unruhig umher. Ich möchte gehen. Gehen. Nur fort. Doch wohin? Weg von diesem Ort, von diesem Land, das doch auch meine Heimat ist.

Seit meiner Kindheit wandere ich zwischen den Welten. Nicht immer sind es breite sonnige Wege. Mitunter werden sie zu schmalen Pfaden, so schmal wie eine Messerschneide und dann merke ich, dass meine Füße bluten. Es sind die Dinge, die nur für Menschen wie mich bestimmt sind, die mit den dunklen Haaren und der Kultur der brennenden Fahnen. Es ist der Pesthauch, der von Menschen wie Sarrazin ausgeht, der weder Blonden, noch christlichen Migranten so stark ins Gesicht bläst wie uns, die man zu den Muslimen oder Juden zählt.

Bisher habe ich Deutschland immer verteidigt, wenn andere sich zornig ereiferten. Ich sagte ihnen, sie sollten dankbar sein, dass sie hier leben dürfen und nicht in ihrer Heimat unter Krieg und Folter, Verfolgung und inhumanen Gesetzen einer missbrauchten Religion zu leiden haben. Dabei blendete ich aus, dass die Briten und die USA es bei uns erst so weit gebracht hatten und verschloss die Augen davor, dass die deutsche Regierung – sich der Gruppe eines heuchlerischen und profitgierigen Klans hinzugesellte – die im Iran-Irak-Krieg Saddam mit Waffen versorgte, während meine Landsleute ihre Munition abzählen und portionieren mussten und viele starben, weil sie sich nicht einmal verteidigen konnten. Ich schob beiseite, dass die deutsche Regierung seit nahezu 32 Jahren Milliardengeschäfte mit den Unterdrückern beschließt. Vergaß einfach, dass sie den Steinigern, Henkern, Folterknechten und Massenmördern die Hände schüttelt und das Geschäft mit einem Bruderkuss besiegelt. Immer wieder beruhigte ich mich damit, dass die Menschen in Deutschland doch nichts dafür können. Wer nichts weiß, kann auch nichts dagegen tun, gerade wenn die Regierung ihr Volk gern dumm hält. Das geschieht nicht nur in Diktaturen, das war mir klar. Nimm es nicht persönlich, sagte ich mir, es geht doch nur um die Wirtschaft und ihre Profiteure. Solange sie mich und meine Familie hier in Ruhe leben und arbeiten lassen, ist alles in Ordnung. Doch diese Illusion ist zerplatzt. Schon lange.

Begonnen hat alles schon, seit ich denken kann. ...

 

  • Broschiert: 512 Seiten
  • Verlag: TWENTYSIX; Auflage: 1 (11. November 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3740706686
  • ISBN-13: 978-3740706685

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