Rose von Schiraz - Teil 1

Leseprobe:
Rose von Schiraz


© Barbara Naziri
 

Ich bin müde geworden. Komm, liebe Freundin, setz Dich zu mir und trinke einen Chai. Es ist das Vorrecht des Alters, in der Vergangenheit zu wühlen und sich schönen Erinnerungen hinzugeben. Woran ich gerade dachte? An Schiraz! Höre ich den Namen, werde ich sentimental und tief in mir erklingt eine Melodie. Suchst Du eine Stadt, in der die Kunst des Wortes wie eine Rose auf den Lippen erblüht, dann reise nach Schiraz! In ihren Rosengärten bedeckt kühler Marmor unsere Dichter Hafez und Sa’adi. Zu Lebzeiten setzten sie in ihren Ghaselen der Toleranz ein Denkmal. Nun sind ihre Gebeine zu Staub zerfallen und die Zeit hat sich in einen schwarzen Tschador verkrochen. Doch schlägst Du die alten Schriften auf, vermeinst Du ein Wispern zu hören: „Halte inne, mein Freund, und trinke vom Schirazi, dessen Farbe den Blumenwangen einer Schönen in nichts nachsteht.“
So ruhen viele Schätze im Verborgenen, seien es die Herzen der Menschen oder die Geheimnisse um die erste Liebe, so wie diese, die ich hier vor Jahren fand. Gol-e Schiraz nannte mich damals mein Geliebter. Wie lange ist das her? Ich habe die Jahre nicht gezählt. Und dennoch hat sich die Erinnerung mit starker Wurzel in mein Herz gegraben.

Meine Eltern nannten mich Parvaneh; das ist Farsi und heißt Schmetterling. Wenn ich ehrlich bin, den Namen mochte ich nicht besonders, weil ich mich ihm irgendwie verpflichtet fühlte. Es ist ein Name, der ein Bild zeichnet. Äußerlich entsprach ich dem Namensbild. Ich war zwar keine Schönheit, jedoch von zarter Statur, hatte volle dunkle Haare, grüne Augen und einen hellen Teint. Wie ein Schmetterling, der taumelnd von Blume zu Blume schwebt, so trieb auch ich durchs Leben, denn ich konnte nirgends lange verweilen. So flatterte ich von Ort zu Ort, von Mensch zu Mensch, innerlich stets von einer großen Unruhe ergriffen, die ich nicht verstand. Ständig war ich auf der Suche, aber ich hatte das Ziel nicht im Auge. So begriff ich leider erst ziemlich spät, wo ich hingehöre – oder besser gesagt – wo ich hätte hingehören können.


Als ich sechzehn war, begegnete ich Arsalan das erste Mal. Wir feierten ein Gartenfest und da im Iran die Familien sehr groß sind, kamen locker hundert Leute zusammen. Meine Mutter konnte das allein schwerlich bewältigen, und so ließ mein Vater Personal kommen, das kochen und bedienen sollte. Ich hatte mich – wie so häufig – bekleckert, und wollte rasch mein Kleid wechseln. So stürmte ich ungestüm die Verandatreppe empor und stieß prompt mit einem Bediensteten zusammen, dem dabei das Tablett aus den Händen glitt. Schuldbewusst bückte ich mich, um ihm zu helfen und den Schaden zu begrenzen. Als wir zeitgleich in die Höhe schossen, blickten wir uns geradewegs in die Augen. Es war, als hielte jemand das Rad der Zeit an. Ich tauchte in Arsalans goldbraune Augen, denen ein jäher Sonnenstrahl honigfarbenen Glanz verlieh und blieb darin gefangen, ohne mich daraus befreien zu wollen. Zugleich spürte ich eine Gewissheit, er könne mir bis in meine Seele schauen und Dinge entdecken, die ich selbst noch nicht kannte. Mein Herz schlug heftig, in meinen Ohren rauschte es, als würde ein Strom hindurchfließen, und die Stimmen der Gäste und die Musik drangen nur noch wie durch Watte in mein Bewusstsein. Nachdem wir uns aus der Erstarrung gelöst hatten, gingen wir auseinander, aber unsere Blicke suchten sich bei jeder Gelegenheit, und heimlich, fast verschwörerisch, lächelten wir einander zu. Endlich ergab sich für uns die Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag im Eram beim Granatapfelhain. Dieser liegt in der Nähe des Kadjarenpalasts, der heute die Juristische Fakultät beherbergt. Hier gab es manchen verschwiegenen Ort, an dem sich die Paare zu einem Stelldichein trafen. Die ganze Nacht machte ich kein Auge zu. Ich konnte den Tag kaum erwarten. Ich war so herrlich jung und es war Sommer, ich hatte Ferien und jede Menge Zeit.
Der Eram ist eine prächtige Parkanlage und die Alten erzählen, schon Hafez habe sich darin ergötzt. Wenn Du durch die Pforte schreitest, trägt Dir der Wind den betörenden Duft der Sommerblumen zu, aus denen Rosenbäumchen wie Schiffsmasten herausragen. An den Weggabelungen plätschern blaue Mosaikbrunnen, in deren Muster sich die Rose und die Nachtigall wieder finden und an deren Rande Singvögel ihren Durst stillen. Dattelpalmen werfen ihre Schatten und laden zum Rasten ein und an den Kaskaden neigt selbst die stolze Rose ihre Blütenkrone.

Den Rand des Eram säumt ein dichter Granatapfelhain. Hier saß Arsalan bereits wartend auf einer Bank. Als er mich gewahr wurde, sprang er auf und schritt auf mich zu. Mit leuchtenden Augen betrachtete ich ihn. Er sah aus wie mein lebendig gewordener Traum: Mitte zwanzig, groß, dunkelbraunes welliges Haar, kluges Gesicht – und diese honigfarbenen Augen, die mich sofort wieder in sich aufsogen! Er hielt eine wunderschöne langstielige Rose in der Hand, die er mir reichte.
„Eine Rose aus Schiraz für die Gol-e-Schiraz“, sagte er lächelnd. Die Stacheln hatte er gekappt, damit meine Hand sich nicht verletzte. Ich war gerührt.
So saßen wir eine Weile stumm nebeneinander. Dann blickte ich ihn an.
„Du weißt, wer ich bin, weil Du im Hause meiner Familie warst. Magst Du mir ein wenig über Dich erzählen?“ forderte ich ihn zaghaft auf.
Er lächelte – wie mir schien – melancholisch.
„Meine Eltern haben keine Villa wie Deine, sondern nur ein kleines Haus und wohnen sehr beengt“, antwortete er. „Du würdest sie vielleicht als arm bezeichnen. Aber wir haben unser Auskommen. Ich habe noch zwei Brüder und drei Schwestern. Mein Vater hat einen kleinen Laden im Basar und verkauft Metallwaren, die er teilweise selber herstellt.“
„Und Du?“ fragte ich ihn, „Du arbeitest als Diener?“
„Ja“, antwortete er, „aushilfsweise.“
Seine Stimme klang irgendwie traurig, sodass ich versucht war, ihn zu unterbrechen: „Aber das ist doch nichts Verwerfliches! Mein Vater sagt immer, ’Arbeit ehrt’.“
Er lächelte leicht. „Meine Familie hat nicht genug Geld. Ich bin der älteste Sohn und möchte, dass meine Eltern es einmal besser haben. Darum studiere ich Jura. Das Studium kostet Geld, und so muss ich hinzuverdienen.“
Ich strahlte ihn an. „Das ist doch wunderbar. Eines Tages wirst Du ein berühmter Anwalt oder Richter!“ rief ich euphorisch.
„Insh’allah“, erwiderte er ernst. Dann warf er den Kopf zurück und lachte. „Du siehst alles so sonnig, kleiner Schmetterling!“
So unterhielten wir uns rege, plänkelten miteinander, mal fröhlich, mal ernsthaft, und die Zeit verging im Fluge. Als ich nach Hause kam, ließ die Rose bereits den Kopf hängen, doch ich stellte sie in die Vase und schalt das Mädchen erbost, als sie sie fortwerfen wollte. „Morgen…“, dachte ich selig, „morgen sehe ich ihn wieder.“

Es folgten viele Treffen beim Granatapfelhain. Zwischen uns entstand ein Band, das mit jedem Treffen an Festigkeit zunahm. Ich genoss es, seiner Stimme zu lauschen, empfing die Worte, mit denen er mich in sein Vertrauen zog, wie ein kostbares Geschenk. Durch Arsalan bekam ich Einblick in eine völlig andere Welt. Mitunter rötete sich sein Gesicht vor Empörung, wenn er mir von der Willkür berichtete, die vom persischen Hof ausging. Es beunruhigte mich, wenn er von einer inneren Hast getrieben plötzlich zornig emporschoss und vor mir auf und ab lief wie ein gefangenes Tier. Seine sonst so sanften Augen sprühten Funken und sein ganzer Körper vibrierte vor Erregung, während er gestenreich Zustände schilderte, die mir fremd und beängstigend waren. So erfuhr ich unangenehme Wahrheiten über den Schah, der nicht der glorreiche Herrscher und gute Landesvater war, für den ich ihn in meiner kindlichen Naivität hielt, und wie er sich gern unserem Land und der Welt präsentierte. ....


erschienen in:
Edition Tandem - Salzburg
gebunden, 122 Seiten | € 15,00
Februar 2014

ISBN 978-3-902932-11-2

 

 

Nach oben